Foto: Marin Maguy, UmweltFoto: Benoît Lachambre und Louise Lecavalier, Is You MeFoto: (8:tension) Young Choregraphers´Series: Andrea Maurer und Thomas BrandstätterFoto: Ultima Vez, Création 09Foto: Jan Fabre, Orgy of Tolerance

Orgy of Dance

Manch einer mag sich fragen, wie sich „die Wirtschaftskrise“ im Tanz wohl niederschlagen mag. Beim ImPulsTanz-Festival, dieses Jahr vom 16. Juli bis 16. August angesetzt, ist sie zumindest auf inhaltlicher Ebene präsent: Der belgische Künstler und Provokateur Jan Fabre hat an seinem Stück Orgy of Tolerance schon lange gearbeitet und mit den Entwicklungen der letzten Monate jede Menge Stoff geliefert bekommen.
Museumstraße 5, A-1070 Wien

Mit seiner Kompanie Troubleyn zeigt er das menschliche Wesen, frei nach Herbert Marcuse, als „kaufendes Tier“, dessen Überlebensinstinkte vom Kaufverhalten dominiert werden. Neun Musiker, Schauspieler und Tänzer, darunter auch der wiederholte ImPulsTanz-Gast Antony Rizzi, folgen einem bitterbösen surrealen Plot über eine Welt der Exzesse und treiben ein scharfes Messer in die Wunden unseres jungen 21. Jahrhunderts, das von kollektivem Nihilismus, Werteverfall und der Tyrannei des Geldes geprägt ist.
Eine zentrale Metapher ist die Couch, auf der wir es uns in unseren eigenen vier Wänden bequem machen und von wo aus wir die Welt über den Fernseher oder andere Medien beobachten. Der private Kokon ist gleichzeitig der Ort, wo Barbarei und Gewalt Eingang finden. „Wir lieben unsere Couch, und der Rest der Welt kann scheißen gehen!“, heißt es im Text zu Orgy of Tolerance. Und weiter: „Der Körper der Welt ist krank, todkrank. Er hängt an einem künstlichen Beatmungsgerät und hört doch nicht auf zu konsumieren. Diejenigen, die nicht mithalten können, werden ausgespuckt. Genau genommen ist dies die umfassendste Terrororganisation der Welt.“ In Jan Fabres genreübergreifenden Stücken werden Schmerz und Verletzungsgefahr durch exzessive Wiederholung und Beschleunigung zur körperlichen Erfahrung gemacht.
Wie jedes Jahr versammelt das beliebte Sommerfestival die namhaften Vertreter des zeitgenössischen Tanzes in Wien. Die Kompanie des weltbekannten Stepptänzers Savion Glover aus New York City gibt am 16. Juli bei freiem Eintritt zu einer Performance im Hof des Wiener MuseumsQuartiers den rhythmischen Auftakt für das diesjährige Vienna International Dance Festival. Neben seiner Performance Bare Soundz wird Glover sein Können auch im Workshop-Programm von ImPulsTanz an Interessierte weitergeben.
Mit dabei ist natürlich wieder Stammchoreografin Anne Teresa de Keersmaeker. Neben neuen Produktionen wird die Belgierin für Rosas danst Rosas, das Stück, das vor 25 Jahren den Beginn der Erfolgsgeschichte der Kompanie Rosas markierte, auch wieder persönlich die Bühne betreten. Ebenfalls wieder zu Gast ist der belgische Starchoreograf Wim Vandekeybus mit seiner Kompanie Ultima Vez, diesmal mit Verstärkung durch die belgische Kultband DEUS.
Die französische Choreografieikone Maguy Marin und ihre Kompanie aus dem Centre Choréographique National de Rillieux-la-Pape ist mit einer Werkschau zu Gast und bringt drei Stücke nach Wien mit. MayB, quasi das Markenzeichen der Choreografin, wurde 1981 uraufgeführt und gilt als das meistgezeigte Stück in der Geschichte des zeitgenössischen Tanzes. Samuel Beckett und seine Figuren sind in MayB allgegenwärtig. Es staubt bei jeder Bewegung. Der Kalk rieselt den Tänzern von den grauen Gesichtern und aus den Haaren, diese verlieren sich in einem skurrilen Treiben auf einer end- und ziellosen Wanderschaft. Dennoch scheinen sie, bei aller Isolation in sich selbst, von einem unbesiegbaren Lebenswillen beseelt zu sein. Mit scharfem Blick analysiert Maguy Marin das Leben und Leiden des Menschen, voll physischer und psychischer Gewalt und gleichzeitig farbenfroh und ausgelassen.
In ihrem zweiten Stück, Umwelt, das schon 2007 im Rahmen von ImPulsTanz zu sehen war und für heftige Diskussionen sorgte, geht es um Macht, Religion und Liebe, die Gefährdung unseres Lebensraums und darum, wie die Umwelt in das Bewusstsein der Menschen dringt. Das Konzept ist konsequent: Aus einer Spiegelwand tauchen Durchschnittsfiguren auf, gehen stilisierten Alltagstätigkeiten nach, produzieren dabei Abfall und verschwinden wieder. Nach und nach verwandelt sich die Bühne in eine Müllhalde. Die neueste Produktion der bemerkenswerten Choreografin, Création 09, wird kurz vor dem ImPulsTanz-Festival in Avignon uraufführt.
Die beiden Gewinner des Ö1 Prix Jardin d’Europe, der im Vorjahr im Rahmen der [8:tension] Young Choreographers’ Series erstmals bei ImPulsTanz vergeben wurde, zeigen die Ergebnisse ihrer neuesten Arbeiten. Olivier Dubois bereichert das Hauptprogramm mit seiner Kreation Faune(s), während Dalija Acin in Oh, no! Hip-Hop in Zeitlupe ablaufen lässt.
Benoît Lachambre und die kanadische Ausnahmetänzerin Louise Lecavalier werden in Zusammenarbeit mit dem amerikanischen Musiker Hahn Rowe und dem französischen Visualisten Laurent Goldring das Stück Is You Me präsentieren.
Der österreichische Choreograf Philipp Gehmacher wird beim diesjährigen ImPulsTanz-Festival eine zentrale Rolle spielen: Neben seiner Funktion als Mentor des Stipendienprogramms danceWEB, das wieder mehr als 60 junge Tänzerinnen und Tänzer aus 40 verschiedenen Ländern über den Sommer nach Wien einlädt, wird er auch mehrere Performances – unter anderem zusammen mit Milli Bitterli – verantworten.
Der Körper als „Hardware“ ist gleichzeitig Form und Inhalt von Philipp Gehmachers Arbeiten. Der junge Choreograf verzichtet auf ein bestehendes Bewegungsvokabular. Das Publikum „erlebt“ die performenden Körper und kreiert Bedeutung aus dem Erlebten. „Meine Arbeit und somit Faszination und mein Interesse gelten dem Körper in Raum und Zeit“, erklärt Philipp Gehmacher seinen Zugang zum Tanz. „Es ist immer ein Körper, der abseits vom zivilisierten und alltäglichen Körper lebt. Es ist ein Körper, der Körperformen sucht und sich als eigenes Subjekt-Objekt untersucht. Dieser Körper performt eine Suche im Jetzt des Theaterraums. Die Entscheidungen der Tänzerinnen und Tänzer, Gefundenes zu behalten oder wegzuwerfen, kreieren das Stück.“
Mit einem vielseitigen Workshop-Programm bietet ImPulsTanz auch 2009 anspruchsvolle wie unterhaltsame, entspannende wie schweißtreibende und bekannte wie ausgefallene Bewegungsmöglichkeiten für Tanzbegeisterte zwischen vier und 94 Jahren und solche, die es noch werden wollen.

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